Die
Bevölkerung ist hier im Grundbestand einheitlich westfälisch. Der
hofgesessene Bauer, zumal im Südosten, zeigt den schwerfälligen, schollenverbundenen, daher auch konservativen, freiheitsliebenden und
stolzen Typ des Westfalen am reinsten. Aber auch die Industriearbeiter
sind in ihrer Haltung durchaus westfälisch; ihre Familiennamen wie auch
die Namen vieler Firmen (Hesterberg, Rafflenbeul, Brackelsberg, Bilstein,
Ischebeck, Jellinghaus usw.) beweisen die Herkunft von den gleichnamigen
Bauernhöfen. So ist unsere Industrie in Führung und Belegschaft
bodenständig geblieben, selbst die Großstadt Hagen hat fast keine
Fremdarbeiter.
Als
besondere Typen durch eine jahrhundertelang betriebene Industrie
körperlich und seelisch geformt, treten uns der -Bandwirker und der
Hammerschmied entgegen. Schlank, schmalbrüstig, feingliedrig — besonders
die die Fäden betreuenden Hände — steht der Bandwirker vor uns. Mit
einer durch seine Beschäftigung in ungesunder Umgebung hervorgerufenen
zarten Gesundheit ist auch eine Zartheit des Denkens gepaart. Bei
großenteils mechanischer Arbeit hat er Zeit zum Grübeln. Zeiten langer
Arbeitslosigkeit und starke Sterblichkeit infolge Tuberkulose lenkten
seine Gedanken auf das religiöse Gebiet, und noch vor wenigen
Jahrzehnten erschollen aus den Werkskammern fromme Choräle zum Geräusch
der Bandstühle. „Et is nich alle Dage: Liewerdach!“ Nur am „Liefertag“
kam Geld ins Haus, nur dann wurde etwas besser gelebt. Wie durch solche
Redewendungen die Sprache, so ist auch der Hausbau durch die
Bandwirkerei beeinflußt worden. Da die Arbeit viel Licht verlangte,
wurden die Fenster zahlreicher und größer als beim Bauernhause
ausgeführt. Mancher bodenständige Bandwirker gelangte vor 1914 zu
bequemeren Wohnverhältnissen .dadurch, daß er den Betrieb in einen Anbau
verlegte. Als Rohbauten ver schandelten sie allerdings unsere
Landschaft.
Herdecke, Haus Habig
Das
Gegenbild zum Bandwirker ist der Hammerschmied, ein untersetzter,
stämmiger Kerl mit kräftigen Armen und Händen, durchaus
Gegenwartsmensch. Seine, schwere, nicht ungefährliche Arbeit verlangt
volle Aufmerksamkeit; deshalb hält er sich außerhalb der Arbeitszeit an
die angenehmen Seiten des Lebens; er mag seinen Schnaps, ist kein
Spielverderber, und der „Duennerkiel" sitzt bei ihm sehr lose. Er ist
auch, im doppelten Sinne, schlagfertig; wo — wie es im Ennepesträßer
Heimatlied heißt — „mit Politik man sich gern befaßt /wo man Eugen
Richter liebt und haßt /wo bei Wahlen man auf der Hut muß sein /daß man
heil behält das Nasenbein!“ Des Hammerschmieds Lieblingsspiel am Sonntag
war eine Art Kegelspiel „Op de Dicken"; die Kugeln vertrat eine schwere
Wurfkeule, die Kegel ½ m hohe Baumstücke, und es erforderte schon eine
Hammerschmiedsfaust, um die „Dicken“ umzulegen. Zahlreich sind auch die
Geschichten vom Hammerschmied. Auch seine Arbeit hat das Landschaftsbild
beeinflußt. Die „Hämmer“ an den Hammerteichen fügten sich malerisch in
die Landschaft ein. Später mit ihnen verbundene Ziegel- oder Betonbauten
verschandelten das schöne Bild. Viele Hammerteiche sind heute
verschlammt, das Rauschen des Wassers über das Rad mischt sich nicht
mehr mit dem Stampfen der Hämmer.
Ein
Verwandter des Hammerschmieds ist der Schloßschmied, ein Heimarbeiter
wie der Bandwirker. Sein Haus ist kenntlich an dem seitlich
hochgeführten Schornstein und der Schmiede im Hause mit den vielen
kleinen Fenstern.
So hat
sich unser Bauernhaus durch die Industrie viele Umänderungen gefallen
lassen müssen; aber auch sonst ist es hier nicht mehr ursprünglich. Zwar
zeigt es noch die westfälischen Farben: Weiß an den Gefachen, Schwarz an
den Balken und Grün an den Schlagläden. Vielfach sind auch noch Mensch,
Vieh und Ernte unter einem Dach vereint.
Das
Stadthaus entwickelte sich aus dem Bauernhaus. Bei den alten Beispielen
liegt hinter der Haustür der breite, lange Flur, von dem aus man in die
einzelnen Zimmer gelangt. Meist sind die Häuser nach bergischem Vorbild
verschiefert; die häufigen Niederschläge machten die Wände feucht,
andererseits hielt der Schiefer und die Bretter, auf die er aufgenagelt
war, den Lehm des Fachwerks. Leider sind manche Häuser ganz in Bretter
eingeschalt und diese angestrichen, oder es ist, sehr zum Schaden des
Stadtbildes, Blech verwandt worden. Beispiele von gut erhaltenen Häusern
finden sich in Schwelm, Breckerfeld, Hagen und Volmarstein. Wiederholt
kehrt das Andreaskreuz als Zierat wieder, auch die Türen weisen oft noch
altertümlichen Schmuck auf.
Von
Sitte und Brauch ist in unserm stark industrialisierten Gebiet nichts
mehr zu merken. Vor etwa 30 Jahren waren noch gewisse Gebräuche bei
Beerdigungen, Hochzeiten und Geburten lebendig, aber die jetzige
Generation hat sie vergessen. Zu Nikolaus gibt es wohl noch „Klaskerle“
und zu Neujahr die Sonnenrädchen als Gebildbrote. Die Mundart lebt aber
noch, auch in der Stadt. Wie auch die benachbarte Wuppertaler Mundart
ist sie niederdeutsch: Ik maut jeden Dach tien Punt Äppel op eaten.
Unser Dialekt hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht. Er ist
niedersächsisch, im Gegensatz; zur Wuppertaler Mundart: Fi lopet, get
schriwet, sä drinket, gegen Wuppertal: Fi lopen, get schriwen, se
drenken. Das besonders Westfälische liegt in der sog. Brechung: Dü-sse
gu-edde Schaume-äker i-etet gäne geko-akte Hawergö-atte. Nicht nur
Laute, auch Wörter scheiden sich hier an der Provinzialgrenze:
rheinisches ‚henger' steht westfälischem ‚ächter', kallen, ‚küren'
(sprechen), döckes, fake' (oft)‚ Gelstern, Braom' (Ginster), Honk‚ Rüe
(Hund) gegenüber. Die Verschiedenheiten sind hier so stark wie kaum an
einer andern Sprachgrenze in Deutschland. Trotz der fast 11%
Jahrtausende beweist die alte Stammesgrenze hier ihre Stärke.
Dieses
kommt auch noch in der Abgrenzung der alten Dekanate der kath. Kirche
zum Ausdruck (siehe
kirchliche Einteilung). Die Kölner Kirche besaß schon um 660 die Höfe Schwelm und Hagen, aus deren Erträgen Bischof Kunibert‚ Stiftungen für
den Unterhalt und die Kleidung armer Laienbrüder in einem Kölner
Hospital machte. Zur Zeit Karls des Großen erhoben sich die Kirchen an
der Ruhr: in Nieder-Wenigern, Hattingen, Stiepel, Herbede, Wengern,
Volmarstein, Wetter, Herdecke und Ende, sodann an der
Wupper-Ennepe-Linie in Schwelm und Hagen, endlich zwischen beiden in
Sprockhövel. Seit dem Gesetz Karls des Kahlen 845 wurden allmählich die
aus mehreren Bauerschaften bestehenden Kirchspiele zu Dekanaten
zusammengefaßt. So gehörten zur Dekanie Wattenscheid die Kirchen zu
Hattingen (erstmalig erwähnt 1019, Patron der hl. Georg) mit der
Blankensteiner Kapelle, zu Ende, Herbede (hl. Veit, erstmalig erwähnt
1032), Nieder-Wenigern (hl. Mauritius, erstmalig erwähnt 1147),
Sprockhövel (hl. Januarius, erstmalig erwähnt 1161), Wetter (erstmalig
erwähnt 1273) und das Benediktinerinnenstift Herdecke (gegr. um 810 von
Fredenuna einer Verwandten Karls des Großen aus dem Hause Volmestein,
Patronin: Jungfrau Maria). Zum Lüdenscheider Dekanat gehörten die sehr
alte Kirche von Schwelm (Patronin. Jungfrau Maria, erstmalig erwähnt
1085) mit einem Hospital und einer Kluse am Winterberg, Wengern (erwähnt
1246, hl. Liborius, Voerde (ursprünglich ein Filial von Hagen, erwähnt
1227, Johannes der Täufer), Hagen (hl. Urban und Georg‚ mit Kapelle zu
Schöpplenberg), erwähnt 1252, mit Jakobus-Kapelle), Dahl an der Volme
(hl. Matthäus, erwähnt 1273), Boele (erwähnt 1236, hl. Bartholomäus),
das Zistertienserinnenkloster (Gevelsberg (um 1230 an der Stelle erbaut,
wo Engelbert den Tod gefunden hatte).
Wengern, evgl. Kirche
Die
Besetzung der Pfarrstellen lag z. T. in den Händen von Klöstern, denen
die Kirchen zur Erhöhung ihrer Einkünfte geschenkt waren; so schenkte
Erzbischof Sigewin von Köln 1085 die Schwelmer Kirche dem Kloster Maria
zu den Stufen in Köln, dem auch die Boeler Kirche gehörte; das jüngere
Heribertstift in Deutz besaß die Kirchen zu Hattingen, Herbede und
Wengern. Pfarrer von Mutterkirchen besaßen das Übertragungsrecht von
Tochterkirchen; so beanspruchte anläßlich der Pfarrerwahl in Breckerfeld
1382 der Pfarrer von Hagen das Kollationsrecht; das Patronat der
Gevelsberger Kirche lag bei dem Schwelmer Pfarrer. Die Grafen von der
Mark als Landesherren waren Patrone von Nieder-Wenigern, Volmarstein,
Wetter und Sprockhövel. Die Kollation der Kirche zu Ende mußte bei den
Herren zu Kallenberg, die von Dahl bei dem Hause Dahl nachgesucht
werden.
Dahl an der Volme, evgl. Kirche
Die
Verehrung von besonderen Heiligen zeigt sich in den Wallfahrten. Das
Bild des hl. Christophorus in Breckerfeld war noch lange nach der
Reformation so berühmt, daß man seine Aufstellung anderswo nicht Iitt.
Auch das Bild des Kirchenpatrons Jakobus in derselben Kirche wurde viel
von Wallfahrern besucht, die zum Grabe des Heilgen in Compostella
pilgerten.
Die
Sorge um das Seelenheil führte zur Gründung von frommen Gemeinschaften,
den sog. Kalanden. Einer der berühmtesten war der zu Herdecke, von
Klerikern des Frauenstifts 1374 gegründet. Zu ihm gehörten auch die
Geistlichen von Wetter, Volmarstein, Ende, Boele, Wengern, Kirchhörde
und Hagen, wie auch der Adel der Umgegend. Zweimal im Jahr versammelten
sich die Brüder, „am Ende des Frühlings, wenn die Blumen blühen“, und im
Herbst, „wenn die Früchte draußen die Brüder mahnen, rechtschaffene
Früchte der Buße zu bringen“; nach der Messe ging es mit brennenden
Kerzen im Zuge durch die Kirche und mit dem Liede „Mitten im Leben sind
von dem:Tod wir umfangen“ um den Friedhof. Allmonatlich mußten die
Herdecker Kleriker‚ der verstorbenen Brüder im Gebet gedenken.
Zu den
Männem, die am Ausgang des Mittelalters humanistische Gedanken
verbreiten halfen, zählen Johann Becker, Petrus Scharpenberg und Hermann
Schüren, alle aus Schwelm. Der erste wird um 1524 als „organista
probatus et laudatus“, auch als „der senge componiste“ bezeichnet;
Hermann Schüren war Rektor der Essener Stiftsschule, und Petrus
Scharpenberg lehrte an derselben Schule; Hamelmann preist ihn in seinem
Buche „Über einige berühmte westfälische Wissenschaftler“. Er war
bereits der lutherischen Lehre zugetan.
Die
reformatorische Bewegung kam in unserer Heimat erst seit der Mitte des
16. Jahrhunderts zum Durchbruch. Anfangs zeigten sich
Übergangserscheinungen; in Schwelm z. B. weihte der protestantische
Pastor Rump den katholischen Vikar Busäus. In Wengern trat: die ganze
Gemeinde 1543 über. In Herdecke wurde Luthers Lehre erstmalig durch
Dietrich Rafflenböl genannt Nicolai um 1540 gepredigt. Da aber die
clevische Regierung der alten Lehre treu blieb, mußte er flüchten; sein
Sohn Philipp setzte seit 1583 das Werk fort, aber er mußte vor den
Spaniern weichen, die den katholischen Gottesdienst wiederherstellten.
Endlich gelang es dem Pastor Dietrich Kleine (1587—1618), der neuen
Lehre zum Durchbruch zu verhelfen. In Blankenstein wurde die Reformation
durch den Schloßkaplan Steinchen und den Drosten Wennemar von der Recke
eingeführt. In Ende hat der Pastor Theodor Bemberg († 1588) lutherisch
gepredigt. Herbede nahm unter dem Pastor Saldenberg (1540—1590) die
Augsburgische Konfession an. In Hagen führte Pastor Joh. Georg
Wippermann 1554 die Reformation gegen den Willen der adeligen katholisch
gebliebenen Grundbesitzer ein. Das benachbarte Boele reformierte um
dieselbe Zeit; seit 1617 fand aber unter Führung des Patrons Jobst von
der Recke die Rekatholisierung mit Erfolg statt. Voerde wurde zwischen
1550 und 1560 evangelisch. In Volmarstein fand der Pastor Anton Schluck
1564, daß die angeblich wundertätige Hostie bloß aus welkem Leder
bestand, das mit roter Farbe bestrichen war, worauf die ganze Gemeinde
von der alten Lehre abfiel. In Breckerfeld verkündigten Johann
Brenscheid und sein Kaplan Nikolaus Steller 1571 zum erstenmal die neue
Lehre. In Dahl an der Volme hatte Friedrich Delbrügger seit 1571 Luthers
Lehre gepredigt und deutsche Lieder singen lassen, er wurde jedoch auf
die Klage seines Patrons auf dem Hause Dahl beim Herzog abgesetzt; da
aber der Patron dann selbst sich reformatorischen Ideen näherte, wurde
Delbrügger zurückgerufen. Ein Versuch der Rekatholisierung schlug 1623
fehl. In Hattingen hatte Pastor Erasmus Wiesmann seit 1573 lutherisch
gepredigt; der Widerstand des Drosten Joh. Wilhelm von Lütsenrodt hatte
keinen Erfolg. Der erste öffentliche Versuch, Schwelm zu reformieren,
scheiterte an dem Widerstande des Margradenklosters in Köln; doch führte
Hildebrand Linderhaus um 1580 das Werk der Reformation durch. In
Gevelsberg berief 1593 das Stiftskapitel den lutherischen Pfarrer
Heinrich Riese aus Bommern. In Sprockhövel führte Pastor Arnold Schemann
1586 die neue Lehre ein. In Nieder-Wenigern endlich hatte der Besitzer
des Hauses Altendorf den Blankensteiner Pfarrer Johann Höffken 1607
unter der Bedingung berufen, daß er den Gottesdienst nach lutherischer
Weise gestalte; da aber die meisten Bauern adeligen Gutsherren untertan
waren, blieben sie mit diesen bei der alten Lehre, und Höffken führte
dann während des Dreißigjährigen Krieges den katholischen Ritus wieder
ein. Zwar stellte die brandenburgische Regierung den früheren Zustand
wieder her, aber die Kirche ging den Lutherischen doch verloren, erst
1751 bauten diese sich ein eignes Gotteshaus.
Für die
Konfession der Gemeinden war von der brandenburgischen Regierung das
Jahr 1609 als maßgeblich festgesetzt worden. Bei den sich daraus
zwischen Katholiken und Protestanten ergebenden Zwistigkeiten verlangten
erstere u. a. die Rückgabe der Kirchen von Herbede, Schwelm (mit 2
Vikarien und der Kapelle der hl. Anna), Hagen (mit 4 Vikarien), Dahl
(mit 1 Vikarie), Boele, Ende, Wetter (mit 4 Vikarien und der Kapelle),
Blankenstein, Nieder-Wenigern, in Herdecke beide Pfarren, das Kloster
Gevelsberg und 2 Vikarien in Hattingen. In den meisten Fällen war aber
die neue Lehre bereits vor 1609 in den Gemeinden eingeführt worden, nur
in Nieder-Wenigern und Boele siegten die Katholiken.
Burgruine Altendorf
In der
Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sich auch an einigen Stellen
reformierte Gemeinden entwickelt.: Da das brandenburgische Fürstenhaus
sich zum Calvinismus bekannte, hatten sie eine starke Stütze bei ihrer
Forderung, die Kirchen und einen Teil der Einkünfte der Geistlichen
mitbenutzen zu dürfen, sowie Sitze im Rat und einen Bürgermeisterposten
zu erhalten. In dem Kampf um die reine Lehre vergaßen die beiden
Konfessionen oft, daß sie beide Kinder der Reformation waren.
Demgegenüber war der Schwelmer Pfarrer Joh. Jakob Fabricius als ernster
Bußprediger allen theologischen Spitzfindigkeiten feind; auf Grund eines
bei der Uhiversität Marburg eingeholten Urteils der Sektiererei
angeklagt, wurde er abgesetzt und 1653 mit Steinen aus der Stadt
vertrieben. Von dem besonders großen Kirchspiel Schwelm, zu dem ein
großer Teil von Wuppertal gehörte und das sich durch die verschiedenen
Industrien mächtig entwickelt hatte (siehe
Textilindustrie), trennten sich — meist
unter harten Kämpfen — 1702 die reformierte Gemarker Gemeinde, 1744 die
lutherischen Gemeindeglieder in Wichlinghausen, 1766 Langerfeld, 1784
Herzkamp, 1798 Rüggeberg, 1842 Haßlinghausen, 1877 Nächstebreck und 1893
Milspe, nachdem Gevelsberg sich schon früner gelöst hatte. Von Hagen
hatten sich in alter Zeit schon Breckerfeld, Voerde und Dahl abgezweigt,
1741 folgte Zurstraße, 1853 lösten sich Haspe und Westerbauer aus dem
Pfarrverband, 1894 zweigte sich Vorhalle ab, 1899 folgte noch
Eppenhausen. Von Wengern hatte sich 1883 Silschede getrennt.
Dem
gewaltigen Anwachsen stand an einigen Orten der Wille zur Vereinigung
bei den beiden evangelischen Konfessionen gegenüber. So wurden 1828 in
Herdecke, 1841 in Breckerfeld und 1920 in Schwelm die beiden Gemeinden
zu einer evangelischen Gemeinde vereinigt.
Für die
Zeit der Geisteskämpfe im 19. Jahrhundert ist beispielhaft der sog.
bergisch-märkische Kirchenstreit, der sich an die Wahl des vom
lutherischen Presbyterium in Schwelm gewählten Pastors Eduard Hülsmann
aus Dahl an der Volme anschloß. Dieser war ein tüchtiger Gelehrter, dem
die Universität Bonn für eine akademische Arbeit den ersten Preis
zuerkannt hatte; er vertrat einen gemähßigten Rationalismus. Nicht
weniger als 30 Schriften erschienen für und wider ihn, bis die Regierung
schließlich die Wahl kassierte.
Die
katholischen Gemeinden konnten sich erst. seit der 2. Hälfte des 17.
Jahrhunderts weiter entfalten. In Schwelm hatte sich schon 1684 die
kleine Gemeinde wieder ein eignes Gotteshaus bauen können, zu dem der
Prior von Werden den Grundstein legte. Dann entwickelten sich neue
katholische Gemeinden in Milspe, Gevelsberg, Haßlinghausen, Voerde,
Sprockhövel, Nieder-Wenigern, Herdecke, Breckerfeld, Dahl, Wetter,
Blankenstein und vor allem mehrere in Hagen.
Die
Entwicklung des kulturellen Lebens war auch hier aufs engste mit dem
kirchlichen verknüpft, so zunächst das Aufkommen von Schulen. Zunächst:
treten uns von Vikaren geleitete Gelehrtenschulen entgegen, deren
älteste hier die erstmals 1440 erwähnte zu Schwelm ist. Mit der
Reformation ging sie in den Besitz der lutherischen Gemeinde über; 1639
stiftete der in Schwelm geborene Kölner Jurist Caspar Mühlinghaus ein
bedeutendes Stipendium für ihre Lehrer und arme Studenten. Die Hälfte
der Schüler kamen von auswärts: aus Elberfeld, Remscheid (Hasenclever),
Hattingen (Natorp), Herbede, Wetter, Wesel, Unna, Iserlohn, Essen
(Krupp), Schwerte (Hengstenberg). Später wurden die Lehrfächer dem
praktischen Bedürfnis der handeltreibenden Bevölkerung angepaßt. Zu den
bedeutendsten Lehrern gehört Konrektor Holthaus (siehe
Charakterköpfe). Aus dieser
alten Lateinschule ist das heutige Realgymnasium hervorgegangen; dessen
erster Direktor war der Geschichtsforscher und Gründer des Heimatmuseums
wie des Vereins für Heimatkunde und der Volksbibliothek, Dr. Wilhelm Tobien. — Älter als ihre erste Erwähnung sind auch die Lateinschulen in
Hattingen (1584), Hagen (1599) und Breckerfeld (1685). Aus der Hagener
ging 1857 die höhere Bürgerschule, später eine Realschule I. Ordnung und
ein Gymnasium hervor. 1824 bekam Hagen eine besondere „Gewerbeschule für
den Regierungsbezirk Arnsberg“, die 1832 zur „Provinzialgewerbeschule“
gemacht wurde (für Mathematik, Physik, Chemie, chem, Technologie,
Mineralogie, Mechanik, Maschinenlehre, Baukonstruktionslehre und
Zeichnen); nach Zwistigkeiten mit der Staatsregierung wurde sie 1878 zu
einer höheren Bürgerschule (6 Jahre) und einer Fachklasse für
Maschinentechniker (2 Jahre) umgewandelt. Einer der bedeutendsten Lehrer
war der Direktor Dr. Holzmüller, der 1890 zur Teilnahme an der
Reichsschulkonferenz in Berlin gerufen wurde. — Mit den 80er Jahren des
19. Jahrhunderts haben die vielen Fortbildungs- oder Gewerbeschulen ihre
Tätigkeit begonnen.
Die
Volksschule tritt hier erst im 17. Jahrhundert und zwar von vorneherein
als konfessionelle Schule auf. So hatte Schwelm seit 1640 eine
lutherische, seit etwa 1660 eine reformierte und seit 1682 eine
katholische Schule. Die lutherische Schule in Breckerfeld stammt von
1682, die reformierte von 1710. Die Landschulen unsers Gebiets
entstanden alle bereits im 18. Jahrhundert. Für die weitere Entwicklung
wurde der 1804 durch die Regierung zum Schulkommissar ernannte
Gevelsberger Pfarrer Ferd. Hasenklever (1796-1817) von Bedeutung, der
überall im Hogericht die Schulbezirke festsetzte, die Lehrer prüfen
ließ, für eine in etwa angemessene Besoldung und ordentliche Schul- und
Wohnhäuser sorgte. (Damals wurde ein Schwelmer Lehrer 1805 mit 100 preuß.
Tlr. pensioniert.) Als Konsistorialrat dann in Arnsberg konnte er seinen
Einfluß auf weitere Gebiete ausdehnen. Ähnlich segensreich wirkte der
Wetterer Pfarrer Hengstenberg. — 1896 wurde in Herdecke ein
evangelisches Lehrerseminar gebildet. — Seit 1804 hatte Schwelm dank der
Selbsthilfe tatkräftiger Familien auch eine höhere Töchterschule. In den
40er Jahren begannen gleiche Versuche in Hagen, die aber erst 1852 zum
Ziel führten.
Das
kulturelle Leben in diesem Gebiet prägt sich dann auch in der Pflege
edler Geselligkeit aus. In Hagen bestand 1807? eine Gesellschaft
„Concordia“, in Schwelm war schon 1801 eine „Bürgergesellschaft“
gegründet worden. Hier unterhielten die begüterten Kreise sich über
Zeitfragen, sie spielten, feierten Feste, vor allem „Königsgeburtstag“.
Ein Anziehungspunkt besonderer Art war der Schwelmer Brunnen. Die
benachbarte Wasserburg Martfeld, die schönen Anlagen, die „Roten Berge“,
die herrliche Aussicht ins Wuppertal machten den Brunnen, ursprünglich
ein Heilbad, zu einem beliebten Ausflugsort, zumal auch die Wirte sich
darauf einstellten. Während der französischen Revolution hatten
zahlreiche französische adelige Emigranten, darunter der Herzog von
Broglio, in Schwelm eine Unterkunft gesucht mit.der Begründung, den
Brunnen gebrauchen zu wollen. Um die 19. Jahrhundertwende sammelte sich
hier eine Anzahl geistvoller Männer um den Pastor Müller, den Verfasser
astronomischer, mathematischer, theologischer und militärischer
Schriften, der Mitglied der Akademie in Berlin war und von dessen Hand
die erste Karte der Grafschaft Mark stammt. Das Gedächtnis Müllers
hielten die Freunde bis auf die Gegenwart wach durch ein Denkmal, das
sie 1812, vier Jahre nach seinem Tode, hier am Brunnen „dem Trefflichen,
Kenntnisreichen und Gemeinnützigen“ setzten. Auch die „bergische und
märkische schöne Welt“ gab sich hier am Brunnen ein Stelldichein. Auf
einer Bühne wurden Schillers „Räuber“, Shakespeares „Hamlet“, die Dramen
Ifflands und Kotzebues gespielt in einer Zeit, als sich das Wuppertal
und Hagen noch theaterfeindlich verhielten. Auf mehreren Zusammenkünften
suchten hier die Lehrer Weiterbildung. Der Hattinger Richter Rautert
sammelte hier unter starker Anteilnahme der Bevölkerung die alten
westfälischen Musensöhne. So grüßte 1845 Friedrich Harkort hier die
alten Mitkämpfer aus der Zeit der Befreiungskriege. Emil Rittershaus,
Ferdinand Freiligratn und Wilhelm Langewiesche vom Schultenhofe in
Schwelm, dessen Enkel in „Jugend und Heimat“ auch dem Brunnen ein
Denkmal setzte, kehrten hier oft ein. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
hatte hier schon die Loge „Zum Westfälischen Löwen“, die älteste im
weiten Umkreise, von der später die Hagener und Wuppertaler Logen sich
abzweigten, auch aus größerer Ferne ihre Brüder gesammelt; an ihrer
Spitze stand der eben genannte Richter Rautert, und zu ihnen zählte auch
Emil Rittershaus. Ein reger geistiger Austausch, ernste Lebensauffassung
und große Wohltätigkeit, die sich besonders bei dem Brande Schwelms 1827
zeigte, waren ihre charakteristischen Züge. Aber dem Leben am Brunnen
fehlte doch der Schwung. Durch den Bahnbau 1848 wurde die Gräfte von
Martfeld trockengelegt, der Brunnen verlor sein Wasser, das Leben zog
sich mehr in die Stadt zurück. — In der Folgezeit schlossen sich die
wohlhabenderen Bürger zu Lesegesellschaften und Gesangvereinen zusammen.
Der älteste ist der Schwelmer „Arion“ von 1846. In den 70er Jahren
folgten dann Bildungsvereine, die sich vornehmlich an die Arbeiter
wandten. Zu ihnen sind auch die zahlreichen Heimatvereine zu rechnen;
der Schwelmer Verein für Heimatkunde von 1890 ist der älteste im Gebiet.
Meist ist mit ihnen auch ein Museum verbunden, so später in Hagen,
Hattingen und Schwelm.
Schwelm, Haus Martfeld
Auf dem
Gebiete des Kunstschaffens wurde Hagen führend durch Karl Ernst Osthaus
und seine Gründung: des Folkwangmuseums (siehe
Charakterköpfe). Die älteste
Druckerei unsers Gebiets war die 1766 schon berühmte von Voigt in Hagen,
bei der auch Schwelmer Schriftsteller ihre Arbeiten drucken ließen. Als
besonderes Verlagsprodukt ist das lutherische märkische Gesangbuch „Kern
und Mark geistlicher Lieder“ zu nennen. Seit 1799 hatte auch Schwelm in
Moritz Scherz einen Drucker und Verleger. Die seit 1814 in Hagen
herausgegebene Zeitschrift „Hermann" erschien 1823 bis 1830 in Schwelm.
Aus der Zeitschrift ging später 1864 die „Hagener Zeitung" und schon
1830 die „Schwelmer Zeitung" hervor, die älteste Tageszeitung des
Gebiets. Bei Scherz erschienen u. a. Diesterwegs „Rheinische Blätter für
Erziehung und Unterricht', Dr. Rauschenbuschs Lebensbild des Hermann
Hamelmann, das Gesangbuch von 1831, Holthaus' „Kirchen und
Schulgeschichte von Schwelm", Tobien „Bilder aus der Geschichte von
Schwelm" und die Karte der Herzogtümer Berg und Westfalen von dem
hessischen Regierungsrat Eckhardt :(1821). Manches Buch hat hohe
Auflagen erlebt; so erschienen von Holthaus' Buchstabier- und Lesebuch
mindestens 92 Auflagen. Für das geistige Leben der westlichen Mark war
der Verlag somit von besonderer Bedeutung. |